1. Warum setzen rechtsextreme Parteien wie die AfD auf Hass und Populismus?
Rechtsextremismus verfolgt das Ziel, gegen das bestehende gesellschaftliche und politische System sowie staatliche Einrichtungen vorzugehen. Im Streit um politische Macht (und entsprechende Wahlstimmen) und um Anerkennung (Legitimität) für ihre Machtmittel zu erreichen, müssen rechtsextreme Parteien sich gegen bestehende demokratische Parteien durchsetzen. Dabei setzen sie auf Populismus als politischer Strategie, die die Gesellschaft verunsichert und zerrüttet.
In Populismus steckt der Gedanke, dass etwas so gesagt wird, dass die Mehrheit der Bevölkerung sich gesehen und verstanden fühlt – und dass es so gesagt wird, dass es leicht verständlich anmutet. Genau genommen aber ist dies eine Manipulation, die gegebene Komplexitäten stark vereinfacht, massiv verdreht oder gezielt falsch einstuft. Randständige Probleme werden aufgeblasen. Themen, über die sich die Gesellschaft streitet, werden aufgegriffen, um sie als unlösbar darzustellen – nur um dann zu behaupten, dass rechtsextreme Parteien die einzigen seien, die Lösungen anzubieten hätten. Diese Lösungen sind aber weder bemüht noch geeignet, Probleme zu lösen oder die Lebenssituation der Menschen zu verbessern. Denn Probleme und Streit sind ja das eigentliche Elixier, aus denen rechtsextremer Populismus dadurch Kapital zu schlagen weiß, dass Unzufriedenheit, Empörung und Hass geschürt werden. Dadurch wird Teilung und Unsicherheit erzeugt. Das Bedürfnis nach Sicherheit wird missbraucht, um Angst zu schüren. Das schließt ein, Politiker*innen von Regierungsparteien, Intellektuelle oder Journalist*innen zu delegitimieren. Diese werden als “Establishment” dargestellt, welche den Interessen der „normalen“ Bevölkerung zuwiderhandeln würden.
ILLUSTRATION: 04 Riss
2. Ist es ok, jemandem Angst zu machen, nur um daraus einen egoistischen Nutzen zu ziehen?
Die AfD profitiert davon, dass Menschen sich nach Sicherheit sehnen. Deswegen behauptet sie, dass Veränderungen in der Gesellschaft die Sicherheit gefährden, um auf dieser Basis Angst vor jeglichem Wandel zu erzeugen. Dabei wird aber in aller Regel angefeindet, was es eigentlich bereits gibt (etwa Antidiskriminierungsgesetze oder -maßnahmen), dann aber so getan, als sei das eine Veränderung, die Unsicherheit bringe. Dabei wird zudem außer Acht gelassen, dass viele das N-Wort als bedrohlich erleben. Und wie könnte jemand wirklich “Sicherheit” aus diesem Wort beziehen? Ändert der Gebrauch dieses Wortes etwas an ökonomischer Unsicherheit? Nein. Natürlich nicht. Doch Angst vor der Zukunft und ökonomischer Unsicherheit kann Fragilitäten erzeugen, die sich falschen Hoffnungen öffnen. Und daraus weiß die AfD politisches Kapital zu schlagen.
Angst und Bedrohung sind zentrale Themen der AfD, die sie psychologisch geschickt so einsetzt, dass sie diese Angst gegen Personengruppen richten kann, die im Visier ihrer rassistischen Politik stehen. So bezeichnete auch schon Biess in 2019 die AfD als sogenannte “Angstbewegung” (S. 143). Besonders spielt dabei die Angst vor Ungerechtigkeit eine Rolle, also im Vergleich mit den ‘Anderen’ schlechter abzuschneiden; wer erhält wie viel Wert – sei es ökonomischer oder anerkennender – für seine jeweilige Leistung in der Gesellschaft? (Eckert, 2020) Wenn man sich vergessen oder vernachlässigt fühlt, ist es leicht, diese Angst in Wut umzuwandeln, und auch dies vermag die AfD für sich selbst zu nutzen. Die Gefühle und das Politische sind nicht trennbar voneinander (Helfritzsch, 2022).
Die AfD sagt, sie könne diese Angst lindern und den Deutschen Sicherheit zurückgeben – doch dabei hat sie viel von jener Angst und Unsicherheit erst selbst hervorgebracht.
Weil die AfD eine rassistische Partei ist, inszeniert sie beispielsweise “Migranten” als “die Gefahr” schlechthin, die die Sicherheit in Deutschland ins Wanken bringen würde. Und weil die AfD rassistisch ist, läuft ihr Populismus immer darauf hinaus, “Migranten” (als Begriff, der alle BIJPoC) umfasst, für alles verantwortlich zu machen. Die AfD behauptet, dass Migration Wohlstand in Deutschland bedrohe und sogar dazu führe, dass Deutschland sich “abschaffe” (Sarrazin, 2010). Am Ende läuft bei der AfD alles darauf hinaus, das Ende von Migration als Lösung für alles zu inszenieren. Das aber löst gar keine real anstehenden Probleme.
Grafik 05 Löst keine Probleme
3. „Ich möchte in einem ehrlichen Land Leben.“ – Wieso dann Politik mit Lügen machen?
Wer möchte nicht in einer ehrlichen Welt leben? Eine Welt, in der man darauf vertrauen kann, was das Gegenüber sagt, und, noch bedeutender, was Personen sagen, denen ich vertrauen möchte oder muss. Insbesondere Politiker*innen, die ja Interessen ihrer Wähler*innen oder (in der Regierungsverantwortung) aller Menschen eines Landes vertreten müssen, sind in der Pflicht, faktenbasiert und wahrheitsgetreu zu argumentieren. Dass dies nicht der Fall sei, ist eine zentrale Behauptung der AfD, aus der sie dann auch ihre eigene moralische Überlegenheit und politische Legitimation zieht. Ein Beispiel dafür ist, dass die AfD einerseits von “parteipolitischer Monopolbildung” spricht, obwohl die aktuelle Regierung aus einer sehr komplizierten Koalition von drei Parteien besteht, andererseits aber selbst offen einen starken autokratischen Staat fordert (Bittner, 2024), was eine klare parteipolitische Monopolbildung wäre. Oder, ein anderes Beispiel: Die AfD spricht von “Lügenpresse” und fehlender Meinungsfreiheit, während sie selbst Zensur betreibt und beispielsweise Kommentare unter ihren Social Media Posts, die nicht in ihr Meinungsbild passen, schlicht löscht (Report Mainz). Das Paradoxe daran ist, dass die AfD das Vertrauen in die Politik unterwandert und damit zugleich die Glaubwürdigkeit ihrer eigenen Lügen erhöht (Bittner, 2024).
Genau genommen setzt die AfD ganz bewusst auf die Lüge als politische Strategie. In vielen Interviews widersprechen sich AfD-Politiker*innen selbst innerhalb weniger Minuten. Alexander Wiesner, AfD Landtagsabgeordneter in Sachsen, behauptet etwa im Laufe eines 5-minütigen Interviews von Sachsen-Fernsehen sowohl, dass Frauen nicht weniger als Männer verdienen würden (Sachsen-Fernsehen, 2023, 1:00-1:04), als auch, dass es richtig sei, dass Frauen weniger verdienen als Männer (ebenda, 4:47-4:52). Tatsächlich lag der Gender Pay Gap 2022 in Sachsen noch bei 8 % (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2023).
Doch nicht nur diese Widersprüche zeichnen die AfD aus. Zudem ist es charakteristisch für die AfD, sich Zahlen, Statistiken und Fakten einfach auszudenken. So erfand Björn Höcke etwa in einem TV-Duell von Welt-TV am 11.04.2024 schlicht, dass 110 Milliarden EUR in die Entwicklungshilfe und Asylpolitik gesteckt werden. Tatsächlich betragen die Ausgaben für öffentliche Entwicklungsleistungen aber nur ca. 34 Milliarden EUR (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) und für Asylpolitik zwischen 17 und 27 Milliarden EUR (Bundeszentrale für politische Bildung, 2023; Statista, 2024a). Die Gesamtkosten liegen also tatsächlich nur bei etwa der Hälfte bis maximal zweidrittel der von Höcke genannten Summe. Und um die Pläne der AfD, Deutschland aus dem Euro und der EU herauszureißen, zu rechtfertigen, log er flott vor sich hin, dass der Brexit eine wirtschaftliche Erfolgsstory sei. Tatsächlich rutschte Großbritannien durch die Folgen des Bruchs mit der EU von einer wirtschaftlichen Top-Position innerhalb der G7 Staaten hin zu einem der Schlusslichter (Stojanovic Tetlow).
Bislang deutet wenig darauf hin, dass sich AfD-Sympathisant*innen an diesen Lügen stören. Die AfD vertritt offensiv, dass es zum Erreichen der eigenen politischen Ziele legitim sei, zu lügen. Das scheint auch von den Sympathisant*innen der AfD so akzeptiert und auch geteilt zu werden.
4. Die AfD und soziale Medien
Von allen Parteien verzeichnet die AfD im Schnitt die meisten Interaktionen auf den führenden Social Media Plattformen (Hillje, 2024). Die überdurchschnittliche Reichweite der AfD lässt sich vor allem mit ihrer fehlenden Scheu vor emotionalen Botschaften und einer großen Investition in Social Media Kampagnen erklären. Doch wieso gerade Social Media? Einerseits lassen sich Social Media Plattformen sehr gut dazu benutzen, vereinfachende und polarisierende Inhalte schnell an viele Menschen zu verbreiten. Weil ebensolche Beiträge im Schnitt länger angesehen werden als andere, werden sie vom Algorithmus bevorzugt. Das bedeutet, sie werden öfter vorgeschlagen als andere Beiträge und generieren somit eine größere Reichweite. Ebenjene Algorithmen weiß die AfD für sich zu nutzen. Sie verpackt ihre meist populistischen Aussagen in aktuellen Trends folgenden und emotionalisierenden Videos und generiert somit enorme Aufrufzahlen, welche wiederum zu einer erhöhten Interaktionsrate und somit auch zu einer großen Reichweite führen. Zusätzlich stellen Social Media Plattformen den perfekten Ort dar, um ein junges Publikum zu erreichen. Dies geschieht neben den polarisierenden Inhalten häufig auch unterschwellig. Durch vermeintlich harmlose Beiträge, wie Memes, Lifestyle- oder Fitnessvideos wird nicht selten verdeckt rechtes Gedankengut vermittelt, wodurch die Zuschauer*innen Stück für Stück an rechtsextreme Ideen herangeführt werden. Oft spielen dabei nicht nur offizielle Accounts der AfD eine Rolle, sondern auch AfD-nahe Einzelpersonen, Gruppierungen oder Magazine. Dass diese Vorgehensweisen schon Erfolg verbuchen, scheint sich bereits bei den jüngeren Menschen zu zeigen. Denn mit dem Ausbauen der TikTok-Aktivitäten der AfD, stieg auch die Zahl der Erstwähler*innen, welche die AfD wählten. Diese stimmten beispielsweise in den bayerischen Landtagswahlen 2023 mit 16 % für die AfD (Statista, 2024c). Auch Schüler*innenvertretungen mehrerer Bundesländer warnen bereits vor immer mehr rechtsextremen Vorfällen an Schulen.
Die intensive Nutzung der Sozialen Medien beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Partei selbst. Auch ihre Sympathisant*innen nutzen dieses Tool, um rechte Parolen zu reproduzieren. Ein Blick in die Kommentare unter Tagesschau-Posts auf Instagram zeigt, wie sehr rechtsradikale und diskriminierende Aussagen hier dominieren. So z.B. die ersten Kommentare unter einem Reel zu Muslimfeindlichkeit vom 17.07.2024 (Tagesschau, 2024b):
Diese ersten sechs Kommentare stehen beispielhaft für eine Schar an rechtsradikalen Stimmen unter solchen Social Media Beiträgen. Solche Hasskommentare machen oft eine erschreckende Mehrheit aus. Doch die Überzahl der Kommentare spiegelt nicht die Gesellschaft wider. Laut einer Studie mit dem Institute for Strategic Dialogue, in der hunderte Diskussionen auf Facebook ausgewertet wurden, würden ca. die Hälfte der Hass-Kommentare von 5% der Accounts stammen. Die Akteur*innen hinter solchen Hassbotschaften betreiben zudem oft mehrere Accounts, durch die sie ihre Stimmen zusätzlich vervielfältigen können. Meist gehören sie gut organisierten Gruppierungen um die AfD und den “Identitären” an. Die bewusst koordinierten und polarisierten Debatten bekommen durch die Wirkweise der Algorithmen zusätzlich eine erhöhte Reichweite. So wird der Eindruck von der durchschnittlichen Meinung der Bevölkerung nach rechts verzerrt und kann im schlimmsten Fall zu einer falschen Gewichtung in der Reaktion von Politik und Medien führen (Eckert & Gensing, 2019).
Da Posts auf Sozialen Plattformen keine seriösen Quellenangaben voraussetzen, bieten sie einen idealen Rahmen, um Fake-News und Lügen zu verbreiten. Hinzu kommt, dass durch KI Informationen manipuliert werden können. So erstellte die AfD etwa für die Weihnachtszeit 2023 einen digitalen „Ampelkalender“ mit 24 gefälschten Audiodateien, in denen sich beispielsweise Scholz, Lindner und Baerbock für die Wahl der AfD aussprechen. Auch wenn diese Dateien im Kontext leicht als Fakes zu erkennen sind, sollte es doch Sorge bereiten, welche Tore solche Projekte öffnen. Deep Fakes können schon jetzt kaum von echtem Videomaterial unterschieden werden. Damit ließe sich also eine ganze Welt aus Lügen mit „Beweismaterial“ in Form gefälschter Videos und Fotos untermauern. Die Schwellen dafür sinken mit zunehmendem technischen Fortschritt, Knowhow und Trainingsdaten immer weiter. Somit verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Lüge und es wird immer schwieriger, Aussagen einzuordnen (Bieß & Pawelek, 2020).
Grafik 06 Social Media