VIII AfD und Demokratie

1. Die AfD behauptet, dass sie angetreten sei, um das Establishment zu stürzen, um Demokratie  wieder einzuführen. Ist das falsch?

Die AfD plant, einen Staat zu errichten, der ihrem faschistischen Weltbild folgt. Dieser setzt auf Autokratie, eine Gesetzgebung, die dem Grundgesetz widerspricht, sowie einem dieser Rechtsprechung dienenden ‘starken Staat’. Autokratische und diktatorische Systeme, auch solche, die die AfD errichten will, scheinen dem Ziel verpflichtet, die Gesellschaft gleichzuschalten. Das schließt eine Diskriminierung von Minderheiten ein und von allen, die nicht dem faschistischen Welt- und Menschenbild entsprechen – sowie eine Verfolgung politischer Feind*innen. Das ist ohne staatliche Gewalt und Repression nicht zu haben. Am Ende läuft die Idee des „starken Staates“ auf einen autokratischen Polizeistaat hinaus.              

Martin Sellner und Maximilian Krah legten 2023 mit Regime Change von rechts. Eine strategische Skizze sowie Ein Manifest. Politik von rechts im rechtsextremistischen Verlag Antaios zwei Werke vor, die dies deutlich aussprechen.

Einer der entscheidenden Architekten dieses Potsdamer-Treffens und der Remigrationspläne der AfD ist der aus Österreich kommende Faschist Martin Sellner. Der 35-jährige agiert europaweit. Mehrere Staaten verhängten gegen ihn Einreiseverbote. In Deutschland gehört er zum Umfeld der rechtsextremen um Götz Kubitschek und Höcke.

In seinem Buch spricht Sellner von einer „Reconquista“ – und meint damit die Rückeroberung „der Schlüsselstellen des Ideologischen Staatsapparats wie der Universität, der Presse, Kunst und Kultur“. Krah, EU-Spitzenkandidat der AfD bei der Europawahl 2024, wiederum schreibt im Kapitel „Der Staat. Die kollektive Ordnung in einem umgrenzten Gebiet“, dass „Ordnung“ für den von ihm skizzierten Staat „ein zentraler Wert [sei]. Daher ist rechte Politik grundsätzlich etatistisch.“ (Krah, 2023, S.74) Dabei kritisiert er, dass der heutige Staat sich unentwegt an seine selbst geschaffenen Regeln halte und dass dies bewirke, dass der Staat oftmals nicht schnell genug (re)agiere. Das aber sei Schwäche, während ein starker Staat autoritär und eigenmächtig handeln müsse – und zwar nach klaren Regeln, die die Rechte der Feind*innen der AfD beschneiden. 

Krah will unbedingt aufgeben, was jeder liberalen Freiheits- und Staatsvorstellung, auch dem bundesdeutschen Grundgesetz, als Lehre der Geschichte fest eingeschrieben worden ist: dass der liberale Staat auch für jene da ist, die ihn ablehnen (solange grundgesetzliche Prinzipien gewürdigt bleiben) – und dass sich eine demokratische Freiheit dadurch auszeichnet, dass sie auch die Interessen von so genannten Minderheiten vertritt. Krah will das ändern. Der von der AfD geplante autokratische Staat sieht sich nur verpflichtet, der eigenen faschistischen Norm zu dienen. Das schließt ein, dass er sich rigoros gegen jene wendet, die dieser nicht entsprechen. Das betrifft BIJPoC ebenso wie nicht-binäre und Transpersonen, aber auch politische Feinde. Krah sagt konkret: „Die Realität der multikulturellen Bevölkerung in den Ballungsräumen erfordert daher eine repressive Staatsgewalt, soll die Ordnung aufrechterhalten werden.“ (Krah, 2023, 95) Krah und Sellner fordern nichts weniger als den Polizeistaat, der vorbeugend aktiv wird und Andersdenkende und Minderheiten unterdrückt. Der AfD-Staat grenzt also alle aus dem Staatsvolk aus, die nicht in sein „Deutschland, aber normal“ passen sowie alle, die seine Staatsvorstellungen nicht teilen: Er nennt sie zum Beispiel „Liberale“, „Feministen“, „Fremde“ oder „absurde Minigruppen“. In ihrem Buch Widerworte. Gedanken über Deutschland (2019) schreibt Weidel, wie mit solchen Feinden des Grundgesetzes – siehe auch Artikel Art. 20, Abs. 4 – umgegangen werden sollte: „Kein Staat kann billigerweise gezwungen werden, seine Feinde auch noch aus öffentlichen Mitteln zu alimentieren.“ (Weidel, 2019, 34) In seinem Buch plädiert Krah dafür, legal an die Macht zu gelangen, um dann den Staat gegen das Grundgesetz umzubauen – und dieses sowie die deutsche Gesetzgebung entsprechend anzupassen (Krah, 2023, S. 75-80).

2. Wie kann die AfD unsere Demokratie unterwandern?

Die 2013 gegründete AfD schaffte es schon beim zweiten Bundestagswahlanlauf im Jahr 2017, mit 94 Abgeordneten in den 19. Bundestag einzuziehen. Bei den Zweitstimmen hatten sie 12.6 Prozent erzielt und in Sachsen sogar drei Direktmandate gewonnen. Damit wurde die AfD zur stärksten Oppositionspartei zur Großen Koalition. Bei den Bundestagswahlen 2021 erlangte die AfD dann zwar mit insgesamt 10,3 % weniger Zweitstimmen als zuvor. Doch seither legt sie sowohl an Stimmen als auch an faschistischer Extremität zu – und an Sichtbarkeit dieser. Im Juni 2023 wurde im thüringischen Sonneberg erstmals ein AfD-Politiker zum Landrat gewählt. Kurz darauf wurde Hannes Loth erster hauptamtlicher Bürgermeister der AfD, und zwar in der sachsen-anhaltischen Kleinstadt Raguhn-Jeßnitz. Bei den Wahlen zum EU-Parlament im Juni 2024 erlangte sie bundesweit 15,9%, wurde aber stärkste Partei in allen ostdeutschen Bundesländern (Die Bundeswahlleiterin, 2024).

Zum einen ermöglichen es diese Entwicklungen der AfD, sich als „normale politische Partei“ zu inszenieren. Zudem hat die AfD auch als Oppositionspartei enorme politische Gestaltungsmöglichkeiten. Systematisch versucht sie, die Bürokratie zu überfordern. Ausschüsse des Bundestages oder von Landesparlamenten werden mit großen und kleinen Anfragen überladen. Nicht nur deswegen regiert die AfD längst mit. Sie tut dies auch insofern, als ihr „Kulturkampf“-Einfluss innerhalb des politischen Systems den Rechtsruck der Gesellschaft immer weiter verstärkt. Alle demokratischen Parteien greifen Inhalte der AfD auf und setzen sie um – siehe etwa das Verbot geschlechtergerechter Sprache in Hessen, Sachsen und Bayern. 

Zwar können klare Verabredungen unter den übrigen Parteien verhindern, dass die AfD in Regierungspositionen kommt. Doch wie belastbar sind diese Brandmauern noch? Käme die AfD an die Macht, so könnte sie ihre autokratischen Strukturen durchsetzen. Jurist*innen wie Nora Markard (Zündholz, 2024) oder das Thüringen-Projekt des Verfassungsblogs (Verfassungsblog, 2024) mahnen an, diese Szenarien zu antizipieren, um gewappnet zu sein. Schon auf Länderebene wäre eine Regierungsbeteiligung der AfD ein Erdbeben. Daraus würden sich nicht nur langfristige Einflussmöglichkeiten ergeben, sondern auch Plätze im Bundesrat. Auf Bundesebene aber wäre eine Regierungsbeteiligung ein Tsunami. Denn eine AfD in der Bundesregierung würde der Partei wirkmächtige Einflussmöglichkeiten auf die Legislative und Exekutive der Bundesrepublik Deutschland und deren Zukunft geben.

Sobald AfD-Politiker*innen im Kabinett säßen, böte sich über Minister*innenposten die Möglichkeit von Eingriffen in Personalien und Entscheidungen von Ministerien, aber auch auf andere Institutionen sowie auch Gesetzgebungen. Entsprechend könnte die AfD diese Herrschaftsinstrumentarien missbrauchen, das Wahlrecht zu ändern, Kontrolle über Medien auszuüben, die Justiz den eigenen Bedürfnissen entsprechend umzugestalten oder der Freiheit von Kunst oder Wissenschaft einen Riegel vorzuschieben und die Bildungspolitik in ihre Richtung zu lenken (Verfassungsblock, 2024; Zündholz, 2024). 

Bestellte die AfD etwa das Innenministerium, dem der Verfassungsschutz unterstellt ist, hätte sie Einfluss darauf, ob einzelne Orts- oder Landesverbände oder auch Strömungen in der AfD sowie deren Verbündete wie Pegida oder Kubitscheks rechtsextreme Denkfabrik „Institut für Staatspolitik“ (iFS) unter Rechtsextremismusverdacht gestellt und entsprechend ausgebremst werden können. Mehr noch: Die AfD könnte den Verfassungsschutz in Richtung jedweder Opposition gegen die AfD in Stellung bringen.

Zudem böte eine Regierungsbeteiligung der AfD dieser die Möglichkeit, gesellschaftspolitisch wichtige Positionen in einschlägigen Institutionen zu besetzen. Ein Beispiel dafür sind Rundfunkräte. In diesen wirken Regierungen direkt mit und sie bestimmen zudem, welche gesellschaftlichen Gruppen in diesen vertreten sind. Hier kann sehr schnell kritische Berichterstattung über die AfD eingedämmt werden, und umgekehrt ist eine staatliche Kontrolle der Medien unter AfD-Regierungsbeteiligung genau das, was Populismus sich nur wünschen kann.

Eine Regierungsbeteiligung böte der AfD zudem Raum, Beamtenstellen etwa in der Polizei, im Bildungswesen, in Anti-Diskriminierungs- oder der Ausländerbehörden sowie in der Justiz parteipolitisch koloriert zu besetzen. Gerichte und die Ernennung von Staatsanwält*innen oder Verfassungsrichter*innen sind ein höchst wunder Punkt. Hier kann die parlamentarische Demokratie nachhaltig beschädigt werden. Bisherige demokratische Gepflogenheiten sind davon geleitet, dass die jeweils aktuelle Regierung mit Augenmaß und im größtmöglichen Konsens neue Stellen besetzt. Das aber kann leicht unterwandert werden. Die Verfassungsrechtlerin Nora Markard betont, wie erst mal harmlos klingende Veränderungen dazu beitragen könnten. Es könnten einfach neue Gremien dazu erfunden werden, etwa ein dritter Senat des Bundesverfassungsgerichtes. Bei der polnischen PiS („Prawo i Sprawiedliwość“/„Partei für Recht und Gerechtigkeit“), auch das wäre ein Modell, wurde die Altersgrenze für Richter gesenkt. Ältere Richter verloren dadurch die Stellung, wodurch überproportional viele Stellen zur Neubesetzung frei wurden. Durch solche Manöver könnte sich die AfD also eine überdimensionierte Präsenz in juristischen Institutionen oder Strukturen verschaffen – und somit auch jene Instanzen kontrollieren, die etwa Gesetzgebungen kontrollieren. Wenn aber an diesen so wegweisenden Punkten Personen sitzen, die Rechtsextremismus keinen Einhalt gebieten wollen, dann kann er sich institutionell breit machen. Umgekehrt würde eine AfD-nahe Justiz Widerstand gegen sich behindern oder verbieten. Vor diesem Hintergrund bedürfe es, so Nora Markard, eines „Verfassungsethos“ bisheriger Richter*innen (Zündholz, 2024). Die Verteidigung des Grundgesetzes müsse als unverzichtbare Grundregelung gelten und nicht als politische Einmischung. Dazu gehört auch, sich rhetorisch zu wappnen.