Während BIJPoC von der AfD als Bedrohung für Deutschland inszeniert werden, sind sie es, die sich in Deutschland nicht sicher fühlen können. Im Grundgesetz steht: “Die Würde des Menschen ist unantastbar.” Das meint ganz klar jede Person, egal, wo sie geboren wurde oder lebt. Generell würden wahrscheinlich die meisten Menschen zustimmen, dass alle Menschenleben gleich viel wert und somit gleich schützenswert sind. Im Parteiprogramm der AfD wird jedoch davon geredet „den Schutz der Bürger[*innen] an erste Stelle zu setzen“ (AfD 2016: 06), hierbei ist aber genau klar, von welchen Bürger*innen geredet wird: Die AfD möchte nämlich nicht jede in Deutschland lebende Person schützen, sondern ausschließlich die, die in ihr „deutsches Bild“ passen – also weiße Deutsche. Hier stellt sich die Frage, weshalb ausgerechnet diese Leben, und auch nur diese, mehr geschützt werden sollten als andere? Was macht das Leben einer beispielsweise deutschen, weißen Person schützenswerter als das von anderen? Man muss sich hier vor Augen führen, was für Auswirkungen die Politik der AfD hat: der sogenannte „Schutz“ von deutschen Bürger*innen führt nicht nur zu Nachteilen, sondern auch zum Tod von anderen. Somit behandelt die AfD nicht alle Menschenleben gleich, sondern priorisiert die, die sie selbst als schützenswerter erachtet, was jedoch anhand von ihnen konstruierten Auswahlkriterien geschieht. Diese Bedrohung, denen BIJPoC ausgesetzt sind, steht mit beiden Beinen fest in der viel zu langen Geschichte des Rassismus.
Insbesondere werden auch der Islam (in einer Gleichsetzung mit Islamismus), muslimisch gelesene Männer bzw. sogenannte “Clankriminalität” als Bedrohung für weiße Deutsche inszeniert. Angeblich werde diese Bedrohung durch alle Parteien außer der AfD verschlimmert und sei die AfD die einzige Partei, die etwas dagegen unternehmen würde. Doch der Fakt, dass die dominierende Staatsangehörigkeit im Bereich der organisierten Kriminalität die deutsche ist (Bundeskriminalamt, 2023a), oder dass die vorwiegende Ideologie hinter Terroranschlägen eine rechtsextremistische ist (Tuschhoff, 2016), wird ignoriert oder verschwiegen. Auch was die Bedrohung angeht, verzerrt und/oder lügt die Partei. Das sollen einige Zitate aus dem jeweils aktuellen Bundestags- und Europawahlprogramm der AfD zeigen.
„Zunehmende Straßengewalt, Terror und Kriminalität sind jedoch keine Naturereignisse, die man kritiklos hinnehmen muss. Sie sind menschengemacht und haben Ursachen, die man bekämpfen kann. Genau das wollen wir tun.“ (AfD, 2021, S. 76)
- Kriminalität und Gewalt sind komplexe soziale Phänomene. Für beide gilt, dass ihre Ursachen vor allem im Sozialen liegen. Das bedeutet, dass Lebensumstände und zentrale Lebensereignisse die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass eine Person selbst Gewalt ausübt oder Gesetze bricht. (Bogerts & Möller-Leimkühler, 2013, S. 1329-1344; Oberwittler, 2023, S. 14-24) Deshalb arbeitet moderne Gewalt- und Kriminalitätsprävention vor allem an solchen sozialen Schnittstellen; Ansätze, die auf harte Strafen setzen, gelten als veraltet und sogar kontraproduktiv, weil harte Strafen das Rückfallrisiko erhöhen können (Kilb, 2012; Lösel, 2012, S. 71-84; Spieß, 2013, S. 87-117).
„Der erhebliche Anteil von Ausländern insbesondere bei der Gewalt- und Drogenkriminalität, aber auch bei öffentlichen Unruhen, führt derzeit viel zu selten zu ausländerrechtlichen Maßnahmen.“ (AfD, 2021, S. 77)
„Die grenzüberschreitende und migrationsbedingte Kriminalität schlägt sich in den amtlichen Statistiken nieder. Beispielsweise wurden im Jahr 2022 bundesweit mehr als 65.000 Fälle von Wohnungseinbruchsdiebstählen angezeigt – das entspricht einer Steigerung um 21,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Ebenfalls ein hohes Niveau haben sogenannte Messerangriffe erreicht: Allein in Berlin wurden im Jahr 2022 mehr als 3.300 Angriffe unter Verwendung eines Messers erfasst; bei den aufgeklärten Fällen wurden mehr als die Hälfte von ausländischen Tatverdächtigen begangen.“ (AfD, 2023, S. 15)
- Die AfD bezieht sich hier auf Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik. Die erfasst aber nur Straftaten, die den Ermittlungsbehörden bekannt werden. Ein Großteil aller Straftaten wird den Ermittlungsbehörden allerdings nie bekannt und ist daher nicht entsprechend dokumentiert. Dadurch sind die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik verzerrt (Birkel, 2014, S. 23-43; Bundeskriminalamt, 2023b). Studien zu solchen Leerstellen zeigen, dass Ausländer*innen oder Menschen mit Migrationsgeschichte generell nicht krimineller sind als Einheimische (Krieg et al., 2020; Walter & Kubink, 1993). Stattdessen erfahren sie eine stärkere Kriminalisierung, das heißt, ihre Gesetzesverstöße fallen eher auf und werden eher verfolgt als die von Einheimischen, weil Migrant*innen unter besonderer Beobachtung stehen. (Walburg, 2022, S. 385-404)
„Die Einbürgerung Krimineller ist zuverlässig zu verhindern durch die Ablehnung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit durch Geburt in Deutschland, weil hierdurch u. a. Angehörige krimineller Clans automatisch zu deutschen Staatsbürgern werden können (…) Bei schwerer Kriminalität innerhalb von zehn Jahren nach erfolgter Einbürgerung (Mitwirkung in Terrororganisationen, Zugehörigkeit zu kriminellen Clans) ist die Einbürgerung zurückzunehmen.“ (AfD, 2021, S. 77/78)
„Die Mehrzahl der Täter im Bereich der Organisierten Kriminalität sind Ausländer.“ (AfD, 2021, S. 80)
„Zudem muss der Machtanspruch großer Familienclans durch konsequenten Einsatz der Ermittlungsbehörden und des Strafrechts gebrochen werden.“ (AfD, 2021, S. 85)
- Die dominierende Staatsangehörigkeit im Bereich Organisierte Kriminalität ist die deutsche (Bundeskriminalamt, 2023b). “Clankriminalität” ist ein Kampfbegriff, mit dem Politik und Medien versuchen, bestimmte Ausländer*innen als besonders kriminell darzustellen. Dies folgt einer rassistischen Logik, nach der Ausländer*innen von Natur aus krimineller seien als Einheimische (Rabe, 2023, S. 50-59; Winkler, 2023, S. 79-95). Tatsächlich geht aber nur ein sehr geringer Teil des Kriminalitätsgeschehens auf sogenannte “Clankriminalität” zurück und trotz erheblichem Ermittlungsaufwands können die Strafverfolgungsbehörden bis heute kaum relevante Beweismittel für Organisierte Kriminalität bei sogenannten “Clans” vorweisen (Abdul-Rahman, 2023, S. 114-126). Mit dem Begriff soll vor allem das rassistische Klischee der kriminellen Ausländer*innen wieder salonfähig gemacht werden (Abed, 2023, S. 244-251).
„Die Sicherheitslage verschärft sich vor allem in Ballungsgebieten dramatisch. Eine besondere Rolle hierbei spielen gerade junge Täter, denen derzeit ein geradezu zahnloses Recht gegenübersteht. Erzieherische Erfolge in diesem Segment lassen sich erfahrungsgemäß nur durch sofortige Inhaftierung der Täter schwerer Delikte erreichen. Wir fordern daher eine entsprechende Änderung der einschlägigen Gesetze, insbesondere des Haftrechts. Wegen der immer früher einsetzenden kriminellen Entwicklung muss das Strafmündigkeitsalter auf zwölf Jahre abgesenkt und mit dem Erreichen der Volljährigkeit auch das Erwachsenenstrafrecht Anwendung finden.“ (AfD, 2021, S. 78)
- Fast alle Menschen verstoßen im Laufe ihrer Jugend gegen Gesetze, denn Regeln brechen ist ein wichtiger Teil der Adoleszenz; diese Form der Kriminalität hört aber meist mit steigendem Alter von selbst auf (Dollinger & Schmidt-Semisch, 2018, S. 03-16). Darüber hinaus ist Jugendkriminalität, genauso wie bei Erwachsenen, seit Jahrzehnten in der Tendenz rückläufig, und jüngste Steigerungen haben eher mit kurzfristigen Verzerrungen wie der COVID19-Pandemie und einer wachsenden Bevölkerung zu tun (Bundeskriminalamt, 2024). Harte Strafen und Inhaftierung sind zur Kriminalitätsprävention, insbesondere im Jugendbereich, kontraproduktiv und sie erhöhen das Rückfallrisiko. Maßnahmen, die auf Erziehung, Wiedergutmachung und Verantwortungsübernahme abzielen, haben sich als wesentlich effektiver erwiesen, um jugendliche Straftäter*innen von weiteren Straftaten abzuhalten (Lösel, 2012; Spieß, 2013). Genau deswegen setzt das Jugendstrafrecht unter der Überschrift des Erziehungsgedankens auch darauf und nicht auf harte Strafen oder ein niedriges Strafbarkeitsalter (Cornel, 2018, S. 533-558).
„Die vom Verfassungsschutz als sehr hoch eingeschätzte Terrorgefahr durch Dschihadisten ist eine ständige Bedrohung unseres Lebens und Friedens.“ (AfD, 2021, S. 85)
- Die AfD legt hier einen künstlichen Schwerpunkt auf islamistischen Terror und verschweigt wichtigen Kontext. Die meisten Terroranschläge in Deutschland lassen sich keiner spezifischen Ideologie zuordnen. Von denen, bei denen dies möglich ist, machen jedoch rechtsextreme Gruppen den größten Anteil aus (Tuschhoff, 2016). Die AfD selbst wird vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall beobachtet, einzelne Landesverbände und die gesamte Jugendorganisation gelten laut Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem (u.a. Amt für Verfassungsschutz, 2022; Bundesministerium des Inneren und für Heimat, 2024; Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen, 2023 & 2024; Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt, 2024).
„Die desaströsen Folgen der unregulierten Massenzuwanderung seit 2015 sind unübersehbar und verschärfen sich weiter: überproportionale Zuwandererkriminalität, Terroranschläge und islamischer Separatismus belegen dies (…).“ (AfD, 2021, S. 91)
- Wie oben beschrieben ist Zuwanderung keine Ursache für Kriminalität, sondern vor allem soziale Umstände. Auch Terroranschläge werden in Deutschland nicht in erster Linie von Zuwanderer*innen verübt, sondern vor allem von Einheimischen und vor allem aus rechten und rassistischen Gründen (Ulrich & Schwahn, 2021; Salzborn, 2023, S. 525-542; Sundermeyer, 2012). Für die Bekämpfung islamistischen Terrors spielt die Regulierung von Zuwanderung keine wichtige Rolle, da religiöse Radikalität unter Migrant*innen geringer ist als in der Gesamtbevölkerung (Tausch, 2024). Gleiches gilt in Bezug auf das, was die AfD als ‚islamischen Separatismus‘ bezeichnet. Muslimische Menschen sind ein selbstverständlicher Teil Deutschlands. Dort wo unterstellt wird, sie würden sich separieren, liegen die Ursachen eher in Ausgrenzung durch die weiß-deutsche Mehrheitsgesellschaft (Geisen & Riegel, 2007).
Dies [Zuwanderung aus „Staaten des islamischen Kulturkreises“] hat in vielen Ländern der Europäischen Union, wie z. B. in Schweden (Malmö) mit seiner äußerst liberalen Einwanderungspolitik, in Frankreich (Pariser Banlieue, Marseille) mit seinen ehemaligen Kolonien auf dem afrikanischen Kontinent oder auch in Brüssel (Molenbeek), zu unlösbaren Integrationsproblemen in Form von Ghettobildung und überbordender Kriminalität geführt.“ (AfD 2023: 12)
- Wie beschrieben, ist Kriminalität keine Frage von Zuwanderung. Die hier angeführten Beispiele stehen exemplarisch dafür, wie Kriminalität vor dem Hintergrund sozialer Schieflagen entsteht, die ihre Ursache nicht in Zuwanderung, sondern in sozialer Ungleichheit haben (Hartmann, 2008, S. 503-517).
„Die ideologische Radikalisierung von Kindern ist zu einem wichtigen sicherheitsrelevanten Geschehen in der EU geworden. Dabei unterliegen vor allem Kinder aus muslimisch-fundamentalistischen Elternhäusern dem Zugriff radikaler Ideologen, die in religiösen Predigten immer wieder zur Gewalt aufrufen.“ (AfD 2023: 16)
Radikalisierung ist vor allem ein Phänomen des Jugend- und frühen Erwachsenenalters (Milbradt et al., 2022). Gleichzeitig sind diese Lebensphasen von einer Abgrenzung den eigenen Eltern gegenüber geprägt und familiäre Einflüsse spielen im Bereich islamistischer Radikalisierung keine relevante Rolle. Entsprechend sind Kontakte zu anderen und stärker Radikalisierten außerhalb der Familie ein entscheidender sozialer Faktor bei der Radikalisierung, nicht jedoch das Elternhaus (Frank & Scholz, 2022).